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Donnerstag, 14. Dezember 2023

Roboter, Künstliche Intelligenz und der Mensch

In einem tollen Vortrag für VHS Wissen live berichtete Michael Decker über „Roboter, Künstliche Intelligenz und der Mensch“

Technologiefolgenabschätzung

Michael Decker arbeitet für das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse. Sie forschen zu Nachhaltigkeit, Energie und Innovationsprozesse und bieten Politikberatung.  
Joseph Schumpeter nannte Innovationen „kreative Zerstörung“. Die Folgen können aus verschiedenen Perspektiven beschrieben werden, z.B. positiv oder negativ, beabsichtigt oder nicht-intendiert.

Künstliche Intelligenz in der Praxis

Decker nannte Beispiele für den Einsatz künstlicher Intelligenz. Die Beurteilung ist abhängig von persönlichen Vorlieben – wer gerne putzt hat keinen Nutzen von einem Staubsaugroboter. Mittlerweile gibt es viele Einsatzmöglichkeiten, die den Menschen weitgehend ersetzen können.
In der Arbeitswelt kann die Automatisierung zu Arbeitsplatzverlusten führen. Gleichzeitig entstehen neue Arbeitsplätze. Für Decker ist deshalb entscheidend, dass Beschäftigte in die Lage versetzt werden, den Wandel zu bewältigen.

Rechtliche und ethische Aspekte

Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz werden sich Regeln verändern. Da die Roboter im Einsatz lernen, kann der Produzent keine Verantwortung mehr übernehmen.
Bei der ethischen Ersetzbarkeit unterschied der Referent zwischen „Verhalten“ und „Handeln“: Handeln setzt das Setzen eines Zwecks voraus. Damit ist auch Verantwortung verknüpft. Handeln setzt die Fähigkeit einer Person voraus, diese Handlung zu rechtfertigen. Die Fähigkeit über Gründe zu reden wird zum entscheidenden Kriterium für personale Autonomie. Für technische Systeme ist eine starke Autonomie nicht anstrebenswert. Um zu entscheiden, wie Roboter handeln sollen, wäre es wichtig zu entscheiden, was moralisches Handeln ist.

Darf mich die KI überraschen?

Am Beispiel des Schachspiels GO und einem autonomen Auto zeigte Decker eindrucksvoll die Unterschiede auf. Alpha Go wurde mit 30 Millionen Zügen menschlicher Züge trainiert und anschließend trausende Spiele gegen sich selbst gespielt. Dieses maschinelle Lernen überraschte Profis beider Seiten: Die KI-Experten waren überrascht über die kreativen Züge, die GO-Spieler hielten die Züge zunächst für Fehler und waren über die neue Spielweise verstört. Während Decker hier „Überraschungen“ akzeptieren kann, möchte er von anderen Produkten nicht überrascht werden, z.B. von einem autonomen Auto.

Widersprüchliche Ergebnisse im Gesundheitsbereich

Obwohl Roboter bereits in der Pflege eingesetzt werden, ist die Beurteilung hier eher skeptisch. Gute Pflege ist Interaktion. Sie erfordert Gefühle, Emotionen, Wissen und ist einzelfallbasiert, also eigentlich ein „Mismatch“. Anders sieht die Kooperation in anderen Bereichen aus. Bei der Diagnostik von Krankheiten kann KI den Ärzten helfen. Die Verantwortung muss aber beim Menschen bleiben.

Regeln möglich und nötig

Zum Abschluss seines Vortrags betonte Decker, dass Regeln möglich und nötig sind. Er begrüßte auch die Initiative der EU, Rahmenbedingungen zu setzen., Außerdem forderte er Analysen und Entscheidungen, die vom Kontext abhängig sind sowie Transparenz.

Freitag, 1. Dezember 2023

Was nach einem Jahr Chat-GPT-Hype bleibt

Jannis Brühl zieht in der Süddeutschen Zeitung eine kritische Bilanz des Chat-GPT-Hypes: Dieser löste Ängste und Träume aus – kann aber vor allem helfen, weniger Lebenszeit zu verplempern.

Die Maschinen sind wach

Am 30. November 2022 veröffentlichte Open AI den Chatbot Chat-GPT. Seitdem macht sich ein Gefühl breit: Die Maschinen sind wach.
Die Aufregung war groß: selten brachte eine Technologie in so kurzer Zeit so viele Hoffnungen, Ängste und auch Investitionen hervor. Aus Open AI wurde in kurzer Zeit ein 86 Milliarden-Dollar-Start-Up.

Kann stupide Büroarbeit ausgelagert werden?

Die Potentiale erscheinen enorm: Durch Chat-GPT können Routinearbeiten ausgelagert werden: Präsentationen, Tabellen und Rohversionen lassen sich durch kurze Kommandos erstellen.
Einige träumen von der Befreiung des Menschen vom Joch der Klick-Arbeit. Der Autor zweifelt aber, ob es den "vollautomatisierten Luxus-Kommunismus" inklusive staatlicher KI-Vollversorgung geben wird.

Chat-GPT liefert die Erzählung über die goldene Zukunft

Den Grund sieht er in den kommerziellen Interessen. Nachdem das Thema Kryptowährungen mitsamt absurden Kurse geplatzt ist, sehen Investoren in diesem Bereich die Erzählung und die Rendite, die es sonst nirgends gibt. ZU dieser Geschichte gehört auch die Erzählung, dass die Technologie ein Bewusstsein entwickeln könnte. Das ist Unsinn, aber aufregender „als von Wahrscheinlichkeitsrechnung mit enormer Rechenkraft zu sprechen, was KI passender beschreibt. Schließlich ist künstliche Intelligenz vor allem auch: eine verdammt gute Story.


Mittwoch, 29. November 2023

Schuldenbremse: In solchen Zeiten spart man nicht - man investiert

 Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird wieder über die Schuldenbremse geestritten. Vivien Timmler argumentiert in der Süddeutschen Zeitung „In solchen Zeiten spart man nicht - man investiert“.

Einhaltung der Schuldenbremse hätte katastrophale Folgen

Timmler argumentiert, dass der Staat künftigen Generationen Kredite hinterlassen darf: „Besser jedenfalls als kaputte Brücken, marode Schulen und lahmes Internet.“ Die Schuldenbremse ist kein Wert an sich, das Festhalten wäre ein Fehler. Die deutsche Wirtschaft ist in Gefahr, der überfällig Umbau des Landes verzögert sich.

Deutschland hat ja gar kein Schuldenproblem

Deutschland kann sich das leisten: Die Schuldenquote des Staates betrug im vergangenen Jahr 66,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; geringer war sie in keinem Land der G7. Künftige Generationen haben nichts von der Einhaltung der Schuldenbremse, wenn sie durch den Klimawandel der Freiheit beraubt werden, überhaupt Entscheidungen über ihren Lebensstil zu treffen.
China und die USA schieben den Umbau mit Milliardensummen an, Deutschland erlaubt 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts. „Die Schuldenbremse ist ein Werkzeug, um vom Rest der Welt abgehängt zu werden.“

Die Schuldenbremse muss reformiert werden  

Die Autorin wendet sich auch gegen das Feiern der „schwarzen Null“. Das Ergebnis: bröckelnde Brücken, marode Schulen und Krankenhäuser, langsames Internet, kaum grüne Energien.
Kurzfristig fordert sie ein Sondervermögen über Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen, mittelfristig braucht es eine grundlegende Reform: Das 0,35 % Limit ist völlig willkürlich. IN Maastricht wurden 3 % als Ziel gesetzt – der Bund könnte dann ein Vielfaches der aktuellen Schulden machen.

Disziplin ist eine Tugend – Einsicht aber auch

Die Zweidrittelmehrheit für Änderungen ist nicht in Sicht, denn neben der FDP stellt sich auch die CDU quer. Merz stellt sich quer, in seiner Partei bröckelt es: „Will er wirklich derjenige sein, der den von der großen Koalition verursachten und von der Ampel ignorierten Investitionstau ausbaden muss? Disziplin ist eine Tugend; Einsicht aber auch.

Dienstag, 7. November 2023

US-Staatsanleihen: Das große Beben

Heike Buchter analysiert in der ZEIT die Bedeutung von Staatsanleihen. Sie gelten als sichere Finanzanlagen, aber es gibt die Angst, dass sich die USA überschulden.

1. Was sind Staatsanleihen?

Staatsanleihen sind Schuldenpapiere von Staaten. Regierungen leihen sich auf die Weise Geld am Finanzmarkt. Wer Staatsanleihen erwirbt, gibt dem ausgebenden Staat ein Darlehen. Im Gegenzug erhält der Gläubiger über die gesamte Laufzeit jährliche Zinsen und am Ende den geliehenen Nominalbetrag zurück. Inzwischen sind US-Staatsanleihen in einem Volumen von 26 Billionen Dollar auf dem Markt.

2. Warum sind US-Staatsanleihen so bedeutend?

Da niemand davon ausgeht, dass die US-Regierung ihre Schulden nicht zurückzahlt, gelten amerikanische Staatsanleihen als sicherer Hafen. Die Zinsen richten sich weltweit nach ihnen - praktisch als Ausgangswert. Sie sind das Fundament des weltweiten Finanzsystems. Andere Unternehmen und Staaten müssen entsprechend höhere Zinsen zahlen.

3. Was passiert gerade am Markt für US-Staatsanleihen?

Im Moment ist der Markt in Aufruhr. Die Rendite nähern sicher der Fünf-Prozent-Marke, 2007 folgte später die Finanzkrise.
Da immer weniger Investoren in US-Anleihen investieren, sinken deren Preise, die Rendite steigt. Auf dem Sekundärmarkt schwankt der Preis, wer unterhalb des Nennwerts kauft, profitiert mehr. Fallen also die Preise für Anleihen, steigen die Renditen für Investoren, die neu zugreifen. Das passiert gerade bei den US-Staatsanleihen.

4. Hat das Beben am US-Anleihemarkt Folgen für Unternehmen und Arbeitnehmer in Deutschland?

Während sich Investoren über höhere Gewinne freuen, haben Unternehmen höhere Finanzierungskosten. Auch die Kosten von Hypothekendarlehen können steigen. Dadurch könnten auch Unternehmer und Arbeitnehmer in Deutschland betroffen sein.

5. Wie konnte es so weit kommen?

Eine eindeutige Erklärung gibt es nicht. Eine Theorie lautet, dass ausländische Notenbanken sich neuerdings zurückhalten. Bisher sind Japan mit 1,1 Bio. und China mit 805 Mrd. Dollar die grö0ten Gläubiger. Außerdem fällt die US-Notenbank als Käufer aus. Bis vor kurzem hat sie aus geldpolitischen Gründen Staatanleihen gekauft, aufgrund der Inflation hat sie diese Aufkäufe eingestellt.

6. Haben die USA ihren Kredit verspielt?

Eine weitere Erklärung: Die USA könnten ihr Kreditlimit überzogen haben. Bislang gab die stetig wachsende Nachfrage nach den Anleihen der US-Regierung die Möglichkeit, immer mehr Geld auszugeben, ohne zu sparen oder Steuern zu erhöhen. Die US-Präsidenten Trump und Biden haben viel Geld ausgegeben, die Staatseinnahmen bleiben weit zurück. Im abgelaufenen Fiskaljahr stieg das Haushaltsdefizit deshalb auf 1,7 Billionen Dollar, so der Rechnungshof des Kongresses. Es kommen immer mehr Anleihen auf dem Markt – bei geringerer Nachfrage könnten die Preise steigen. Daher dürfte der wichtigste Grund sein, der das Beben ausgelöst hat: die Sorge, dass die USA sich zu überschulden drohen.

7. Was passiert im schlimmsten Fall?

Die Folge von allem wäre eine weltweite Rezession. Steigen die Schulden, muss Jahr für Jahr mehr Geld für deren Bezahlung aufgewendet werden – und es bleibt weniger Geld für Infrastruktur, Gesundheit, Bildung übrig. Die Zahlungsunfähigkeit der USA lässt sich zwar ausschließen, da die führende Wirtschaftsnation der Welt immer Dollar drucken kann. Dies hätten allerdings Geldentwertung und eine noch höhere Inflation zur Folge. Aber auch dieses Szenario ist gefährlich: Es droht dann im schlimmsten Fall eine Finanzkrise wie im Jahr 2008, deren Folgen bis heute zu spüren sind.

Freitag, 6. Oktober 2023

Wer arbeitet, hat mehr

Mark Schieritz räumt in der ZEIT mit dem Gerücht auf, dass sich Arbeit nicht lohnt: Wer arbeitet hat mehr.

Ist der Sozialstaat zu großzügig?

Die Mehrheit der Bundesbürger ist davon überzeugt, dass sich Arbeit nicht lohnt. Diese Einstellung wird durch Medien befeuert und wurde vor kurzem auch durch CDU-Chef Friedrich Merz behauptet.
Tatsächlich können Sozialleistungen umfangreich sein. Sie umfassen die Grundsicherung, Wohngeld, Kinderzuschlag, Unterhaltszuschuss und Kindergeld. Wer keinen Job hat, bekommt als Alleinstehender 563 Euro Bürgergeld. Darüber hinaus werden Miete und Heizkosten vom Amt übernommen (bis zu einer Höchstgrenze).

Auch Niedriglöhner haben Anspruch auf Sozialleistungen

Würde eine alleinstehende Person eine Arbeit mit einem Bruttogehalt von 1000 Euro aufnehmen, blieben 864 Euro übrig, nach Abzug einer mittleren Kaltmiete blieben weniger als das Bürgergeld. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn in Deutschland haben auch Niedriglöhner Anspruch auf Sozialleistungen. Wer wenig verdient, bekommt ebenfalls Bürgergeld, wenn auch nicht in voller Höhe. Wer arbeitet, hat immer mehr Geld als jemand, der nicht arbeitet.

Staatliche Leistungen besser aufeinander abstimmen

Die Forscher haben aber herausgefunden, dass sich Mehrarbeit nicht lohnt, da mit steigendem Einkommen staatliche Transferleistungen gekürzt werden. Dies ist sinnvoll, kann in bestimmten Konstellationen dazu führen, dass sich zum Beispiel ein Wechsel in eine Vollzeitstelle lohnt. Es müssten also staatliche Leistungen besser aufeinander abgestimmt werden, was aufgrund von Förderprogrammen und Zuständigkeiten sehr kompliziert ist. Das, so der Autor, ist aber ein anderes Thema…

Montag, 18. September 2023

Künstliche Intelligenz: Wie sie Wachstum und Jobs beeinflusst

Alexander Hagelüken beschreibt in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung, wie künstliche Intelligenz Wachstum und Jobs beeinflussen könnte. Löst die Technologie gesellschaftliche Probleme oder ist sie ein frauenfeindlicher Stellenkiller?

Der mögliche Boom

Die Potenziale scheinen gigantisch, Experten gehen von bis zu 2,6 Billionen Dollar aus - fast die jährliche Wirtschaftsleistung Großbritanniens. Am meisten profitierten Branchen wie Finanzen, Hightech und Biotech. "Geringere Arbeitskosten, neue Jobs und höhere Produktivität könnten die globale Wirtschaftsleistung substanziell steigern". Andere sind skeptisch, dennoch ist das Potential faszinierend, dass Inhalte ohne Zusatzkosten entstehen.
Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) befürchtet, dass Europa erneut abgehängt wird. Statt klassische Branchen zu subventionieren, fordert er mehr Geld für diese Zukunftstechnologie.

Der Flug zum Mond

Die USA pumpen viel Geld in Künstliche Intelligenz und hoffen auf einen Effekt wie beim Flug zum Mond. Sie soll bei vielen Großproblemen helfen, aber auch hier gibt es Nachteile. Der Aufstieg der Technologie ist in China mit zunehmender Überwachung verbindet. Auch andere Diktaturen könnten KI aus China zum ausspähen nutzen.

Die Jobs

Historisch brachten neue Technologien mehr neue Jobs als alte wegfallen. Und diesmal? Viele Bürojobs und an Informationsschaltern könnten überflüssig werden. Da Frauen in diesen Bereichen besonders vertreten sind, könnte die Technologie frauenfeindlich wirken. Ein Expertenbericht für die Bundesregierung sagt voraus, dass durch die Digitalisierung insgesamt bis 2040 genauso viele Stellen neu entstehen wie wegfallen. Die Herausforderung wäre dann vor allem, Beschäftigte so weiterzubilden, dass diese beim Wandel mithalten können.
Traditionell hat der technische Fortschritt vor allem gering qualifizierte Arbeit ersetzt. Diesmal dürften zum Beispiel auch Anwälte betroffen sein, Datenanalysten und Programmierer.

Die Ungleichheit

Eine weitere Befürchtung ist die Zunahme von Ungleichheit. Forscher raten, das Ganze nicht dem Markt zu überlassen. KI könnte Tätigkeiten verbessern - und dadurch Menschen produktiver macht.
Dies gilt auch für die Verteilung der Gewinne. Bei der industriellen Revolution dauerte es gut 100 Jahre, bis die Masse ihren Anteil am Wohlstand bekam - weil sie ihn sich über Gewerkschaften und linke Parteien erkämpfte.
Die Digitalisierung schaffte viele schlechtbezahlte Tätigkeiten wie Essenauslieferer. Erst der Mindestlohn setzte ein klares Zeichen. Experten fordern deshalb, dass auch bei der KI frühzeitig Gegengewichte geschaffen werden.

Samstag, 9. September 2023

Das Betteln der Industrie um Staatshilfen ist erbärmlich

Karl-Heinz Büschemann schimpft in der Süddeutschen Zeitung über die Bundesregierung und die Industrie. Er hält das Betteln um Staatshilfe für erbärmlich.

Gejammere auf allen Ebenen 

Während der Corona-Krise wurde die Mehrwertsteuer für die Gastronomie gesenkt. Diese Sonderregel wird nun auslaufen. Glaubt man den Vertretern, leiden darunter nicht nur Gastronomen, sondern die gesamte Gesellschaft.
Auch andere Industrien malen den Untergang an die Wand, wenn der Staat nicht sofort handelt. Chipfirmen lassen sich neue Fabriken teuer bezahlen, die Chemieindustrie fordert einen gedeckelten Strompreis.

Milliardenhilfen nicht nötig

Die Reihe der Bittsteller wird immer länger. Wenn eine Branche erfolgreich Geld lockermachen kann, fühlt sich die nächste berechtigt, ihrerseits Ansprüche anzumelden. Wohl nach dem Motto: Wer jetzt nicht bettelt, ist selbst schuld. Die Chancen auf Erfolge stehen gut. Die Regierung plant weitere Ausgaben für Heizungen, soziale Zwecke und denkt weiter über Schattenhaushalte nach. Vermutlich sind es mittlerweile sogar mehr als die offiziell genannten 63 Milliarden Subventionen.

Deutschland ist kein Sanierungsfall

Der Autor wendet sich gegen die Erzählung, dass Europas größte Industrienation ein Sanierungsfall ist. Zwar gibt es Krisensymptome, ein völliger Absturz über Nacht droht aber nicht. Auch die Unternehmen sieht er in der Pflicht: Statt sich um ihre Geschäfte und deren ständige Erneuerung zu kümmern, verwenden Branchen und Unternehmen ungewöhnlich viel Energie darauf, Geld beim Staat einzufordern.“

Innovationen fordern

Die Aufgabe von staatlicher Wirtschaftspolitik ist es, Innovationen zu fördern und Unternehmen zu befähigen, sich immer wieder zu erneuern. Es nutzt also wenig, Geld auszugeben, um bestehende Geschäfte zu retten. Besorgniserregend ist auch, dass Branchen mit der stärksten Lobby Geld vom Staat bekommen.
Es ist Aufgabe des Staates, in Notfällen in die Wirtschaft einzugreifen, mittlerweile ist die Subventionspolitik aber zu weit gefasst. Derzeit zeigt sich die Schwäche des Subventionsstaats: Er kann mit Geld um sich werfen. Optimismus erzeugt er nicht.

Mittwoch, 23. August 2023

Daddy Deutschland- ein Plädoyer für Eigenverantwortung

Meredith Haaf kritisiert in der Süddeutschen Zeitung den ständigen lauten Ruf nach Vater Staat. Bei allem, was Sorgen bereitet oder Kosten verursacht, rufen viele Menschen nach dem Staat. Aber wehe, man muss selbst ran.

Praktisch alles, was Sorgen bereitet, Mehrkosten verursacht, soll „der Staat“ regeln

Heizungsumbau und steigende Benzinpreise, Gleichberechtigung und Bildungslücken, Umweltschutz und Integration: Praktisch alles, was Sorgen bereitet, Mehrkosten verursacht, den Alltag der Menschen belastet, gilt inzwischen als eine Angelegenheit, die „der Staat“ regeln soll – durch strategische Offensiven (Fachkräfte!), durch bessere Gesetze (Gleichberechtigung!) und vor allem durch Geld, Geld, Geld. „

Die veränderte Rolle des Staats

Die Vorstellung vom Staat als Super-Papi, der das Geld hat und die Regeln macht, den man immer anmeckern kann, der einem aber auch immer aus der Patsche helfen sollte, steht auf keiner theoretisch festen Grundlage. Max Weber bezeichnete den Staat als Antriebsbetrieb, der Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen ermöglicht und stabilisiert. Bei Carl Schmitt steht das Gewaltmonopol im Vordergrund; nach John Stuart Mill müssen staatliche Institutionen die Einhaltung der Verfassung schützen. Der Staat vertritt aber grundsätzlich nicht die Interessen der Bevölkerung. Er hat seine eigenen: Linke wollen einen Staat, der sich kümmert, Rechte einen, der sich durchsetzt. In Deutschland stimmt beides allerdings nicht mehr so ganz.

Der Staat als Super-Papi

In Deutschland verlassen sich immer mehr Bürger auf den Superpapi. Während der Corona-Krise war der Staat in Form von Lockdowns, Kontaktsperren, Konzernrettungen und Kurzarbeitergeld sehr dominant. Mit dem dicken Geldbeutel brachte der Staat die Wirtschaft einigermaßen stabil durch die Pandemie. Aus der Ausnahmesituation ist eine Grundhaltung gewachsen. Die aktuellen Probleme – der Ukraine-Krieg, die Erderwärmung und die Knappheit der Ressourcen– Arbeitskraft, Zeit, sauberes Wasser, intakte Natur – werden für immer mehr Menschen spürbar. Die Lösung soll der Staat bieten.

Die anderen sollen machen

Die Debatte über das Heizungsdebatte verdeutlichte den Ruf nach dem Staat und der Ablehnung der eigenen Verantwortung: Das Land redete sich in eine "Art Heizungsverbotsdelirium" mit dem Ergebnis, dass der Staat jetzt bis zu 70 Prozent der Kosten übernimmt. Dies geht einher mit der Überzeugung, dass Staat und Wirtschaft den Klimawandel verhindern sollen. Deutlich weniger sehen sich dafür selbst in der Verantwortung. 

Sozialstaatsgebot umfasst nicht allen alles zu bezahlen 

Das Sozialstaatsgebot verpflichtet den Staat dazu, für sozialen Ausgleich zu sorgen. Dabei geht es aber vor allem darum, Chancengerechtigkeit zu schaffen, soziale Not zu lindern, oder besser, sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Nicht dazu gehört der Anspruch sämtlicher Bürger, Unternehmen und Institutionen – egal wie einkommens- oder vermögensstark –, ständig mit einem Anreiz, einer Förderung oder einem Puffer ausgestattet zu werden, wenn es mal etwas anstrengender wird.

Der Wunsch nach einem superschlauen Staat

Bei manchen Menschen geht die Erwartung noch weiter: Sie wünschen sich einen Staat, der sich nicht an demokratischer Willensbildung orientiert: Nicht nur ein starker, sondern ein superschlauer und zugleich natürlich absolut integrer Staat schwebt ihnen vor. Diese Forderung kommt von Umweltaktivisten nach dem Motto: „Wenn der Staat Inlandsflüge verbietet, muss sich der 17-jährige Lasse nicht mehr mit seinem Vater darüber streiten, auf welchem Weg der seine Geschäftsreisen antritt.“
Es zeigte sich auch bei der Debatte über die Entscheidung, dass Familien mit mehr als 150.000 Euro zu versteuernden Einkommen kein Elterngeld mehr bekommen. Die Empörung war groß, da nun top verdienende Väter nicht mehr in Elternzeit gehen. Für die Autorin ist Gleichberechtigung aber nicht nur Staatsaufgabe, sondern etwas, was Paare unter sich ausmachen können und sollen. 

Demokratiemüdigkeit und Politikverdrossenheit

Mit dem Ruf nach dem Staat gehen Demokratiemüdigkeit und Politikverdrossenheit einher. Mehr als die Hälfte der Menschen zwischen 16 und 30, so eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, fühlen sich von keiner Partei repräsentiert. Diese Demokratiemüdigkeit ist Ausdruck enttäuschter Erwartungen, aber „ganz ehrlich, wer sich immer auf Papi verlässt, kann nur enttäuscht werden.“

Mehr Gemeinschaft nötig

Die Demokratiemüdigkeit ist aber auch Ausdruck der eigenen Antriebslosigkeit. „Es großes, kollektives „Ja gerne, aber bitte mach du. Ob Verantwortung bei Elternabenden oder Vereinen – es sollen die anderen übernehmen.
Der Staat ist nicht der Daddy der Deutschen und der Einzelne auch nicht. Der Begriff, der hier gebraucht wird, heißt Gemeinschaft. Für eine Gesellschaft ist die Sorge und der Einatz füreinander wichtiger als eine zahlungsfreudige Verwaltung.

Persönlicher Einsatz ist gefordert

Jeder ist gefordert, so die Autorin: Es klingt vielleicht banal, aber auch ein Ehrenamt, ein Betriebsrat, eine Genossenschaft, eine Kunstwerkstatt, ein Gemeinschaftsgarten, das alles sind Möglichkeiten, Veränderung zu schaffen und Demokratie zu erfahren, die vom Staat freundlicherweise schon längst ermöglicht werden. Anders gesagt: Do it!
 

Montag, 7. August 2023

Droht den Deutschen die Rückkehr der Voodoo-Ökonomie?

Ronald Reagans Steuersenkungen für Reiche bezeichneten Kritiker einst als Voodoo-Ökonomie. Thomas Fricke befürchtet im SPIEGEL, dass diese Situation auch Deutschland droht.

Deutschland ist abgehängt – auch in der Wirtschaftspolitik

Für Fricke ist Deutschland nicht nur bei der Digitalisierung, dem Einhalten von Klimazielen, sondern auch beim Versuch auf all die Probleme zeitgemäße ökonomische Lösungen zu entwickeln. Nur in Deutschland herrscht der naive Glaube, dass sich im Grunde alle Probleme am besten lösen lassen, indem der Staat sich heraushält – und die Wirtschaft einfach machen lässt.

Andere Länder setzten nicht mehr auf das Predigen ordoliberaler Prinzipien

Die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Staat der Wirtschaft helfen muss.
Die Finanzkrise zeigte, dass auch Märkte zu Katastrophen neigen
Die Mindestlöhne wurden entgegen der Prophezeiungen keine Katastrophe
Staatliche Rettung war bei Corona und der kriegssbedingten Inflation notwendig.
Nun gilt die alte Leier „Kosten runter: Klimawandel? Am besten über Markt und CO₂-Bepreisung beheben. Abhängigkeit von Russland oder China? Am besten über mehr Freihandel lösen. Industriepolitik? Braucht die Wirtschaft nicht.“

Der Markt ist nicht die Lösung. Der Markt ist das Problem.

Der Autor hält es für naiv, durch CO2-Bepreisung den Klimawandel aufzuhalten oder Diversifizierung China aufzuhalten. Die Abhängigkeit entstand durch eine naiv marktüberlassenen Globalisierung – die von den Chinesen ausgenutzt wird. „So etwas ist politisch, das können wir nicht Firmen überlassen.“
Ein weiteres Desaster der marktliberalen Ära ist das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Statt des versprochenen Trickle-down gehen Einkommen und Vermögen immer weiter auseinander.

Das neue Leitmotiv: Strategische Zusammenarbeit

Der Autor fordert eine Politik, die viel stärker dafür sorgt, dass gut bezahlte Arbeit entsteht – statt einer, die über immer neue Deregulierung de facto für immer mehr prekäre Jobs sorgt.
Es geht nicht um die Verteuflung von Märkten. Märkte sind oft perfekt bei der Entwicklung neuer Produkte oder günstigen Lösungen. Das neue Leitmotiv sei, mit der Wirtschaft in strategisch wichtigen Dingen zusammenzuarbeiten, z.B. öffentliche Investitionen in entscheidende Infrastruktur oder Subventionen strategisch wichtiger Industrien

Deutschland kommt nicht voran

Deutschland kommt in diesen Bereichen kaum voran – ein trauriges Beispiel hierfür die Deutsche Bahn). Die Ausgaben für Digitalisierung und Bildung werden sogar gekürzt. Dieses Verhalten steht im Gegensatz zur Forschung über erfolgreiche Strategien. Es ist höchste Zeit, Deutschland zu modernisieren: Nicht nur beim Digitalisieren von Ämtern und beim Verkauf von Elektroautos, sondern auch bei der Suche nach zeitgemäßen Lösungen für Klimawandel, Globalisierungs- und Demokratiekrisen.

Samstag, 22. Juli 2023

Warum Menschen unterschätzen, wie reich sie sind

Nils Wischmeyer analysiert in der Süddeutschen Zeitung, warum Menschen unterschätzen, wie reich sie sind. Das führt zu falschen politischen Entscheidungen und nur einen Ausweg: Gehaltszettel auf den Tisch.

Viele schätzen ihr Vermögen und Einkommen falsch ein

Viele Menschen zählen sich zur Mittelschicht, obwohl sie deutlich mehr verdienen oder besitzen. Drastisches Beispiel war Friedrich Merz, der sich 2020 mit einem Einkommen von rund einer Million Euro zur gehobenen Mittelschicht zählte. Angesichts vieler unterschiedlicher Definitionen von Mittelschicht ist die Selbsteinschätzung nicht so einfach. Ein weiterer Grund für die Fehleinschätzung: Menschen vergleichen sich mit Menschen aus ihrem Umfeld. Viele Menschen kommen mit anderen Schichten kaum in Kontakt mit Menschen anderer Schichten.

Fehleinschätzungen führen zu dummen Entscheidungen

Die Ungleichheit nimmt zu, die oberen fünf Prozent besitzen mehr als 40 Prozent des Vermögens. Die Menschen nehmen diese Ungleichheit war, glauben aber nicht, davon betroffen zu sein. In der Folge unterschätzten sie vermutlich auch, wie stark sie von Maßnahmen wie beispielsweise von einer Umverteilung für das eigene Leben profitiert hätten. Dies führt zu seltsamen Diskussionen. Obwohl nur wenige Familien von der Senkung der Einkommensgrenze beim Elterngeld betroffen sind, unterschrieben in kurzer Zeit 500.000 eine Petition, diese Kürzung zu stoppen.
Solche Fehleinschätzungen führen zu schlechter Politik – statt Förderung der Mittelschicht werden Reiche bezuschusst. Dies zeigt sich bei der geplanten Förderung zur Energiewende: Nur 40 % der Deutschen leben in den eigenen Wänden, sie werden aber bei Wärmepumpe, Ladestation und Solaranlagen massiv unterstützt.

Menschen müssen offener über Geld sprechen

Für den Autor hilft nur ein: Deutschland muss offener über das Thema Geld sprechen. Was ist ein hohes Einkommen, was ein großes Vermögen? Und ab wann ist man eigentlich reich? Die Bundesregierung definiert hohe Einkommen als das Doppelte des Medians der Nettoäquivalenzeinkommen, also der Haushaltseinkommen, gewichtet nach Haushaltsgröße und Alter der Mitglieder. Wer alleinstehend 99 Prozent der Menschen hinter sich lassen will, braucht 7000 Euro netto, also etwa halb so viel wie Olaf Scholz.
Die Zahlen sind wichtig für zukünftige Diskussionen: Wenn dann einmal wieder eine Vermögenssteuer diskutiert wird, wüsste man auch: Oje, da geht es ja um mich! Ich bin reich!


Donnerstag, 15. Juni 2023

Willkommen im Exponentialzeitalter

In einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung fragt Helmut Martin-Jung, wie wir mir der rasenden Entwicklung der Technik Schritt halten können. Von Künstlicher Intelligenz bis zu Computerchips: die Technologie entwickelt sich gerade so schnell, dass der Mensch kaum mitkommt. Das ist faszinierend - und bedrohlich.

Rasend schnelle Entwicklung

Die Technik entwickelt sich rasend schnell, so z.B. die Transistoren auf Chips: Der Hauptchip eines aktuellen Smartphones rechnet Millionen Male schneller als der Computer, mit dem die Nasa die Mondlandung bewerkstelligte. Die weltweite Vernetzung entwickelte zudem schnellere Entwicklung, z.B. bei der Entwicklung von Corona-Impfstoffen oder Chat-GPT. Die von einem Modell künstlicher Intelligenz angetriebene Software beantwortet Fragen, schreibt Aufsätze, Computercode und sogar Gedichte, wenn auch (noch?) keine guten.

Technische Entwicklung bringt Quasimonopole hervor

Die Welt biegt ein auf eine Exponentialkurve. Einige Firmen wie Google, Apple oder Amazon haben die technische Revolution für ihr eigenes exponentielles Wachstum genutzt und sind nun Quasi-Monopolisten. Es kommt zum Netzwerkeffekt: Wenn ein Unternehmen groß genug ist, gehen alle dorthin, wo schon die meisten sind. Die Tendenz wird sich fortsetzen. Es geht immer weniger darum, selbst etwas zu produzieren oder zu betreiben. – Uber besitzt keine Taxis, Lieferando kocht kein Essen. Die Leistung der Plattformen besteht darin, ein möglichst gut funktionierendes System zur Vermittlung dieser Waren oder Dienstleistungen aufzubauen.

Menschen anhand der Daten überwachen

Diese Firmen verdienen nicht nur viel Geld, sie haben Daten über die Menschen, als die meisten ahnen. Die Nutzer haben nur die Wahl, die Dienste nicht zu nutzen oder Daten nicht preiszugeben. Sie treffen auch weitreichende Entscheidungen, so z.B. ob einer wie Donald Trump auf ihrer Plattform zündeln darf oder nicht. Kritiker nennen dies Überwachungskapitalismus, da er davon lebt, Menschen anhand ihrer Daten zu überwachen.

Die exponentielle Kluft überwinden

Das Unvermögen mit dieser Entwicklung umzugehen nennen Experten exponentielle Kluft. Für den Autor könnte weltweite Zusammenarbeit helfen, den Superkonzernen etwas entgegenzusetzen. Die EU versucht dies mit ihrer Gesetzgebung – vom Recht auf Vergessen hin zur Möglichkeit, dass Nutzer von WhatsApp Nachrichten an konkurrierende Dienste schicken können.
Abzuwarten ist dabei keine Option - die Kurve der technologischen Entwicklung steigt, und sie steigt immer schneller und schneller. Es ist höchste Zeit zu verstehen, was exponentielles Wachstum bedeutet.

Freitag, 12. Mai 2023

Wenn die Löhne steigen, ist das gut fürs ganze Land

Alexander Hagelüken beschreibt in der Süddeutschen Zeitung die steigende Macht von Arbeitnehmern und die möglichen Folgen steigender Löhne.

Auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft

Vor einigen Generationen hatte Jean Fourastié eine Vision: Eine neue Dienstleistungsgesellschaft werde den Menschen bessere und besser bezahlte Jobs bescheren als die "knechtische Arbeit" auf dem Feld und in der Fabrik, sagte der Ökonom 1949 voraus. Drei Viertel der Deutschen arbeiten als Dienstleister, nicht alle sind gut bezahlt. Das ändert sich, denn die Alterung der Bevölkerung und die Alterung der Gesellschaft sorgt für mehr Macht und auch höhere Lohnsteigerung für viele Berufe.

Vorteile

Hageluken nennt drei Vorteile in dieser Entwicklung

Erster Vorteil: Mehr Gleichheit

Nachdem in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich Kapitalerträge gestiegen sind, sorgen stärkere Gehaltssteigerungen in den kommenden Jahren wären erst mal ein Aufholen. Die neue Macht der Arbeitnehmer wird die Macht der Firmeneigentümer zurückdrängen. Die Kluft zwischen Arm und Reich könnte reduziert werden.

Zweiter Vorteil: Weniger Crashrisiko

Lohnsteigerungen kurbeln den Konsum im Land an und schaffen Wachstum, das nicht an Exporten hängt. Dadurch sinkt die der Einfluss der Weltkonjunktur. Die Gefahr, dass Jobs abwandern bestehen bei vielen Dienstleistungen wie Haare schneiden und Kinderbetreuung nicht.


Dritter Vorteil: Mehr Wachstum

Höhere Lohnsteigerungen sind eine Folge des Personalmangels und könnten diesen mindern. Attraktivere Löhnen bewegen Menschen mehr zu arbeiten. Steigt der Preis der Arbeit, wird das die ganze Volkswirtschaft modernisieren. Unproduktive Firmen könnten in Schwierigkeiten geraten, die Beschäftigen werden in andere Branchen wechseln. Auch der Mindestlohn hat keine Arbeitslosen produziert, sondern zu Jobwechsel gebracht. Stärkere Lohnsteigerungen helfen also dem ganzen Land, indem sie Personalmangel mindern und den Wechsel in produktive Jobs anregen.
Dies bedeutet nicht, dass man einfach nur Gehälter zu erhöhen, die Firmen müssen sich die Löhne leisten können, sonst droht eine Abwanderung.

Risiken

Es gibt aber auch Risiken dieser Entwicklung

Erste Gefahr: Mehr Inflation

Experten befürchten eine höhere Inflation. Allerdings gehen Experten davon aus, dass nur ein kleiner Teil der aktuell hohen Inflation in den USA und Europa auf gestiegene Löhne zurückgehen. In Deutschland sind Ökonomen weitgehend einig, dass die Gewerkschaften durch die aktuellen Tarifabschlüsse noch keine Lohn-Preis-Spirale auslösen.

Zweite Gefahr: Weniger Jobs

Wenn menschliche Arbeit zu teuer wird, könnte sie durch Maschinen ersetzt werden. Diese Angst treibt die Menschen seit der Industrialisierung um. In den meisten Fällen arbeiten Maschinen mit Menschen, weggefallene Jobs konnten ersetzt werden. Die Automatisierung der letzten Jahre hat nicht zu einem Wegfall von Stellen gesorgt, im Gegenteil – die Beschäftigung nahm zu.

Dritte Gefahr: Zu viele Streiks

Aktuell wird häufig gestreikt Auch in den kommenden Jahren dürfte es mehr Arbeitskämpfe geben als gewohnt. Der Autor hält aber auch diese Gefahr für überschaubar: "Wir sind halt keine Franzosen."

Vorteile überwiegen

Hagelüken ist optimistisch, dass die Vorteile überwiegen - für die Beschäftigten selbst und fürs Land. Es gibt auch Risiken.

Mittwoch, 12. April 2023

Künstliche Intelligenz – Wir entscheiden, was daraus wird

Markus Brauck sieht im SPIEGEL in Künstlicher Intelligenz eher Chancen: "Was draus wird, entscheiden wir“.

Künstliche Intelligenz wird immer besser

1997 wurde der Schach-Weltmeister Garri Kasparow gegen die Software DeepBlue verloren. Heute ist Künstliche Intelligenz dem Menschen in vielem überlegen. Jüngste Beispiel ist das Programm ChatGPT, das Texte erstellt. Manche behaupten, der Siegeszug der KI werde die Welt ähnlich stark verändern, wie es das Internet getan hat.

Künstliche Intelligenz nicht mit menschlicher Intelligenz vergleichbar

Während ein Mensch beim Erlernen einer Sprache auch etwas über die Welt lernt, lernt KI Sprache nur als statistische Wortproduktion. Zahlreiche Beispiele zeigen, wie unangemessen die Kommunikation werden kann. Im Gegensatz zum Menschen hat KI keine Würde, keinen Willen, keine Verantwortung.

Der Mensch entscheidet über Maschinen

 Der intelligenteste Mensch ist da dem dümmsten Tier näher als der klügsten Maschine – was auf andere Weise nachdenklich machen kann. Menschen entscheiden, was Maschinen machen – etwas Großartiges oder Furchtbares. Trotz der Fortschritte werden Menschen mächtiger und wichtiger, denn sie haben die Verantwortung.

Künstliche Intelligenz wird viel verändern

KI wird die Wirtschaft, die Kunst, den Alltag und die Politik verändern. Optimisten hoffen, dass wir mehr Freiraum bekommen, uns um die wirklich wichtigen Aufgaben zu kümmern. Pessimisten sehen eher die Bedrohung.
Die Digitalisierung wird die Machtkonzentration noch verstärken, gegen die aktuellen Konzerne wie Apple, Google und Co. Große KI-Modelle zu bauen ist unermesslich teuer und weckt die Hoffnung auf unermesslichen Gewinn. Und Macht.

Mit Zuversicht mitmischen

Um mit den USA und China und den mächtigen Unternehmen mithalten zu können, empfiehlt der Autor Europa „mitmachen, mitspielen, ausprobieren“, statt am Rand zu stehen. „Deutschland und Europa müssen sich in diesen neuen Markt stürzen, mit Geld und guten Leuten – und mit der Zuversicht, dass dabei große, tolle Dinge entstehen können. Mehr Enthusiasmus als bislang wäre schön. Der Ärger, die Ängste und der Frust kommen zuverlässig von allein.“

Mittwoch, 29. März 2023

Was kommt nach dem Finanzkapitalismus?

Claus Hulverscheidt, Nikolaus Piper, Markus Zydra beschäftigen sich in der Süddeutschen Zeitung mit dem internationalen Finanzsystem und fragen: Was kommt nach dem Finanzkapitalismus.

Bretton Woods System und ungezügelter Finanzkapitalismus gescheitert

Vor 50 Jahren kollabierte das Bretton-Woods System. Mit diesem System hatten sich die westlichen Nationen nach der Katastrophe des Krieges fast drei Dekaden lang miteinander verbunden, aber auch aneinander gekettet hatte. 44 Länder haben sich geeinigt, dass Währungen grundsätzlich handelbar, jedoch an einen festen Wechselkurs an den Dollar gebunden sein sollen. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA, jedem beteiligten Staat jederzeit pro 35 Dollar eine Feinunze Gold auszuzahlen. Sollte ein Land in Schwierigkeiten geraten, könnte der neu zu gründende Internationale Währungsfonds (IWF) zu Hilfe eilen. Aber auch das System des ungezügelten Finanzkapitalismus hat seine Schwächen und viele Krisen: Öl-, Asien-, Dotcom-, Finanz- und zuletzt Lieferkettenkrise.

Gründe für das Scheitern von Bretton Woods

Bereits 1971 kündigte Nixon sein Versprechen auf, Dollar in Gold zu tauschen. 1973 ist das System endgültig gescheitert. In der Welt von Bretton Woods kamen nur dann ausreichend Dollar in die Weltwirtschaft, wenn die USA Handelsdefizite erwirtschafteten. In diesem Fall jedoch würden sich deren Goldreserven schnell erschöpfen. Genau so wäre es gekommen, hätten die Amerikaner nicht vorher die Reißleine gezogen.

Startschuss für die Hyperliberalisierung bis zum Crash 2008

Die Politik bekam in den 70er Jahren die Probleme steigender Preise und Arbeitslosenzahlen nicht in den Griff. Um die Probleme endlich zu lösen, setzten zunächst vor allem die USA und Großbritannien darauf, durch massive Steuersenkungen, die Privatisierung von Staatsbetrieben und eine teilweise Entmachtung der Gewerkschaften die Kräfte des freien Marktes zu entfesseln. Dabei entstanden auch globale Kapitalmärkte, die immer komplexere, immer riskantere, weltweit handelbare Finanzprodukte schufen, bis am Ende niemand mehr durchblickte. Das Ergebnis war der Crash des Jahres 2008, der die Welt in die schwerste Krise seit der Großen Depression der Dreißigerjahre stürzte. Die Corona-Pandemie und der russische Überfall auf die Ukraine gaben dem System den Rest.

Ideologie und Dogmen sind zunehmend in den Hintergrund getreten

Fast niemand möchte zu einem der beiden Systeme zurück. Wirtschaftsexperten wie Rüdiger Bachmann loben, dass die Debatte weniger von Ideologie geprägt ist: "Märkte sind weder ein Wert an sich, noch sind sie grundsätzlich böse. Und staatliche Eingriffe können sinnvoll sein oder aber ein Fehler." Es gibt weiter Unterschiede, wie der Streit zwischen FDP und Grüne zeigt: Konsolidierung des Haushalts, um mehr Geld für Investitionen anstatt für Zinsen ausgeben zu können? Oder mehr Investitionen, um über mehr Wachstum den Haushalt zu konsolidieren?

Markt zunutze machen, aber in engen Bahnen lenken

Die Autoren sehen in einem dritten Weg eine Lösung: der Staat kann die Kräfte des Marktes weiter nutzen, lenkt sie aber engere Bahnen. Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt überschritten, bei der Frage wo produziert und eingekauft wird, spielen sicherheitspolitische und geoökonomische Aspekte eine größere Rolle. Der Staat kann Verbote verhängen, z.B. für den Kampf gegen den Klimawandel, sollte andererseits aber auch die Freiheit nicht zu sehr einschränken.

Feste Wechselkurse auf Regionen

Die Frage, ob feste oder frei schwankende Wechselkurse besser geeignet sind, ist weiter nicht geklärt. Experten wie Peter Bofinger sehen in regionalen Währungsräumen eine Lösung, die es im Moment mit dem US-Dollar, dem Euro und dem chinesischen Yuan gibt. Währungsunionen können Probleme bringen, wie das europäische System zeigt. Umgekehrt setze kaum noch jemand auf völlig frei schwankende Wechselkurse. - jedes Land muss das Wechselkurssystem finden, das am besten zu ihm passt.

Manchmal Hammer und manchmal Säge

Bachmann betont, dass Marktkräfte, staatliche Eingriffe, Wechselkurssysteme oder auch die Geldpolitik keine Frage des Glaubens, sondern politische Instrumente also Mittel zum Zweck sind. "Manchmal", so der Ökonom, "braucht man nun einmal einen Hammer und manchmal eine Säge".

 

Dienstag, 7. März 2023

Was bringen Freihandelsabkommen?

Björn Finke und Claus Hulverscheidt beschäftigten sich in der Süddeutschen Zeitung mit Freihandelsabkommen. Nachdem ihre Zeit abgelaufen schien, sind sie wieder in aller Munde – was bringen Abkommen wie TTIP, Ceta und Mercosur?

Freihandelsabkommen wieder gefragt

Nach dem Scheitern des Freihandelsabkommen zwischen EU und USA schien die Zeit solcher Abkommen vorbei – nun sind sie wieder in aller Munde. Die EU verhandelt mit einigen Ländern und möchte den "Abschluss von Freihandelsabkommen mit dynamischen Wachstumsregionen, insbesondere in Asien-Pazifik" vorantreiben. Dies ist auch Teil einer China-Strategie, mit der die Abhängigkeit von China gelockert und neue Absatz- und Rohstoffmärkte gefunden werden sollen.

Nicht nur die Zeiten, auch die Handelsverträge selbst haben sich verändert

Aber nicht nur die Zeiten, sondern auch die Verträge haben sich geändert. Sie enthalten Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards und reduzieren auch die Möglichkeit für Unternehmen, Regierungen bei missliebigen Entscheidungen vor umstrittene Schiedsgerichte zu zerren.

EU hat viele Abkommen abgeschlossen – aber nicht mit den wichtigsten Partnern

Die EU hat mittlerweile 74 Präferenzverträge abgeschossen. Sie sehen in der Regel Abschaffung gegenseitiger Zölle vor und sollen den Handel erleichtern. Auf diese Länder entfallen 44 Prozent des gesamten Außenhandels. Durch den Handel soll auch die Versorgung mit kritischen Rohstoffen verbessert werden. Nicht bei diesen Staaten dabei sind – ausgerechnet – die wichtigen Handelspartner USA, China und Indien.

Sonderfall Großbritannien

Nicht zu den Erfolgsgeschichten zählt der Vertrag mit Großbritannien – hier ist der Handel gesunden. Der Vertrag ist allerdings ein Sonderfall, denn er sieht keine Handelserleichterungen vor, sondern sollte nach dem Austritt des Landes aus der EU im Gegenteil verhindern, dass sich die Geschäftsbedingungen massiv verschlechtern.

Debatte um Mercosur

Verhandelt wird derzeit mit Australien, Neuseeland, Chile, Mexiko, Indien, Indonesien und dem  Mercosur-Block aus Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay. Dieser Vertrag ist der bisher umfangreichste und eigentlich seit 2019 fertig verhandelt. Es gibt vielfältige Kritik: an den Brandrodungen im Amazonas durch den damaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro sowie Umwelt- und Sozialstandards. Durch ein Zusatzprotokoll will man der Kritik begegnen.

Selbstbewusste Schwellenländer

Mittlerweile treten die Schwellenländer in Verhandlungen viel selbstbewusster auf als früher. Sie fordern eine Beteiligung an den Kosten ihrer Klimaschutzprogrammen, da der Erhalt des Regenwalds auch zur Rettung der Welt beiträgt. Sie sind sich auch ihrer Macht bei dringend benötigten Rohstoffen bewusst.

Handelsvereinfachungen statt "Europe first"

Aber auch Schwergewichte wie USA, China und Indien beharren auf ihrer Souveränität. In den USA gilt für Republikaner und Demoraten das Motto "America first". Auf diese neue Welt hat sich die EU noch nicht eingestellt. Eine Lösung könnten kleinere branchen- und sektorspezifische Verträge sein, bei denen man gemeinsame Interessen habe. Die EU scheint die letzte Bastion des echten Freihandels zu sein. Brüssel setzt auf breite Handelsvereinfachungen und nicht auf "Europe first". Kritiker nennen dieses Vorgehen eher naiv.

Freitag, 10. Februar 2023

Bidens Subventionspaket nutzt dem Klima - und Europa

In der Süddeutschen Zeitung lobt Claus Hulverscheidt Bidens Subventionspaket – es nutzt dem Klima und Europa.

Vom Klimaschutzpaket profitieren alle 

Das Klimaschutzpaket von Joe Biden wurde aufgrund der geplanten Subventionen als Anschlag auf die Wettbewerbsfähigkeit kritisiert. Hulverscheidt widerspricht: Es ist der Beweis, dass die USA endlich ihrer Führungsrolle beim Klimaschutz gerecht wird. Zwar werden amerikanische Firmen bevorzugt, es ist aber auch im europäischen Interesse, wenn in Nordamerika starke, klimaneutral wirtschaftende Firmen entstehen, die sich gerade für die deutsche Industrie rasch als neue Kunden oder Lieferanten entpuppen könnten.

Anti-Populismus Programm 

Der Autor sieht in dem Programm auch ein Anti-Populismus-Programm: Hilft das Gesetz auch nur ansatzweise dabei, die Rückkehr des unseligen Donald Trump an die Macht zu verhindern, dann hat es gerade für die so exportabhängige Bundesrepublik seinen Zweck schon erfüllt.

Die EU braucht ein eigenes Paket zur Energie- und Industriewende

Die Europäische Union sollte ein eigenes Paket schüren – und mit den Amerikanern zusammenarbeiten, denn „mehr Klimaschutz, mehr ökonomische Unabhängigkeit von China und mehr volkswirtschaftliche Resilienz“ kann nur gemeinsam funktionieren.

Mittwoch, 11. Januar 2023

Grüner Kapitalismus: Hatte Marx doch recht?

In der tollen Titelgeschichte im SPIEGEL geht es um „grünen Kapitalismus“. Die Autoren fragen, ob Marx doch recht hatte.

Kritik am Kapitalismus von ungewohnter Seite

Dem Satz „Der Kapitalismus funktioniert nicht mehr für die meisten Menschen“ würden viele Menschen zustimmen. Diese Analyse von Ray Dalio, dem Gründer des größten Hedgefonds, ist dennoch überrascht. Er kritisiert die einseitige Verteilung von Wohlstand und fordert grundlegende Reformen. Die Rufe nach einer neuen Wirtschaftsordnung werden aus allen Seiten lauter: Können wir mit dieser Wirtschaftsordnung so weitermachen? Mit einem Klimakiller-Kapitalismus, der auf immer mehr getrimmt ist: immer mehr Konsum, Profit, Wachstum? Und dabei stets mehr Ungerechtigkeit hervorbringt?

Globalisierung ist aus dem Ruder gelaufen

Der industrielle Kapitalismus sorgte in der Vergangenheit konstant für Wohlstand und Wachstum, Inzwischen aber liegen die Schwächen so offen zutage. Die Globalisierung ist aus dem Ruder gelaufen, fast alle Wohlstandsgewinne landen bei den obersten zehn Prozent der Bevölkerungen. Der wahnwitzige Ressourcenverbrauch ruiniert den Planeten. Die Finanzindustrie schwelgt in immer neuen Exzessen. Viele machen sich Gedanken um eine gerechtere und grünere Ordnung.

Die Suche nach einem klima-freundlichen, stressfreieren Leben

Trotz der unbestreitbaren Erfolge sind viele Millennials unzufrieden. In den USA fordert die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez deutlich höhere Steuern, die Mehrheit der Deutschen macht den Kapitalismus für die Klimakrise verantwortlich.
Auch Aktivist*innen von Friday for Future fordern ein Systemwandel, da es nirgends gelungen ist das wachsende Bruttoinlandsprodukt vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Dieser Analyse stimmen inzwischen vielen zu, so fordert auch der Milliardär Dalio Umverteilung. Der japanische Professor für Philosophie Kohei Saito sieht die Lösung in einem „postkapitalistisches System, in dem es kein Wachstum mehr gebe, die gesellschaftliche Produktion verlangsamt und der Wohlstand gezielt umverteilt werde.“

Alle Macht dem Staat

Ein weiterer Trend ist die Hinwendung zum Staat, er musste während der Corona-Krise viele Unternehmen stützen und soll nun eine grüne Wirtschaft bauen.
So fordert es zumindest Mariana Mazzucato, auf die auch Joe Biden und Olaf Scholz folgen. Sie lieferte Skripte für den »Green New Deals«, also den klimafreundlichen Umbau von Wirtschaft und Industrie. Sie fordert, dass der Staat die Richtung vorgeben und ambitionierte Ziele setzen muss.
Sie fordert keinen Sozialismus, sondern große Ziele, so wie die US-Regierung einst vorgab, innerhalb einer Dekade zum Mond zu fliegen. Sie möchte Unternehmen in eine Richtung zwingen, z.B. nur noch »grünen« Zement zu verwenden und der Staat finanziell hilft. Die Regierung kann Zuschüsse an Bedingungen knüpfen wie Frankreich beim Darlehen für Air France oder Renault gemacht hat. Ihr schwebt ein Unternehmerstaat vor, der Firmen Anreize setzt, ihr Geld in übergeordnete Ziele zu stecken.
Die Bundesregierung möchte diese Idee durch Klimaschutzverträge umsetzen: Wer klimafreundlich produziert, obwohl das teurer ist, bekommt vom Staat bis zu 15 Jahre lang die Mehrkosten erstattet. Dem stimmen die Unternehmen auch zu, sie halten staatliche Förderinstrumente für unverzichtbar.

Die Epoche des Neoliberalismus ist vorbei
Auch wenn viele die Ideen von Mazzucato ablehnen – die jahrzehntelange Epoche des Neoliberalismus dürfte damit endgültig vorbei sein. Angefangen von Ronald Reagan wurden Deregulierung und Globalisierung vorangetrieben, in Deutschland vom sozialdemokratischen Kanzler Gerhard Schröder. Dieser Weg führte direkt zur Finanzkrise. Damals musste der Staat massiv eingreifen, um den Kollaps zu verhindern.
Ein ausgeglichener Haushalt wurde Selbstzweck, während der Pandemie waren dann auf einmal riesige Summe da. Mazzucato fragt zurecht: »Warum wird das Geld immer nur über Nacht in Notsituationen herausgeholt? Wenn es um große gesellschaftliche Aufgaben von Gesundheit bis Umwelt geht, heißt es: Geht nicht, wir müssen auf die Staatsschulden achten.«

Das Ende von Wachstum und Shareholder Value

Tim Jackson hat mit „Wohlstand ohne Wachstum“ ein wichtiges Werk vorgelegt. Der Mensch will nicht immer nur mehr Geld und Gesetz. Er hält unser Wirtschaftsmodell von Grund auf fehlerhaft.
Viele argumentieren, dass ohne Wachstum alles zusammenbricht: vehement bejaht. Die kurze Version geht so: Ohne Wachstum sparen Unternehmen und kürzen Stellen. Erst bricht der Arbeitsmarkt ein, dann der Konsum. Bestenfalls führt das zu Stagnation. Der Lebensstandard schwächelt, die Wohlstandsgewinne bleiben aus.
Angesichts der Klimakrise hat sich die Debatte verändert. Ganz ohne Wachstum wollen die wenigsten Wirtschaftsexperten auskommen. Stattdessen wird über sanftere Wege des Entzugs nachgedacht, was vor allem bedeutet: richtiges von falschem Wachstum zu trennen. Beispielsweise bei erneuerbaren Energien massiv wachsen, dafür aber die Ölindustrie einstampfen. Oder Stahlfabriken durch digitale Start-ups ersetzen.

Erste Erfolge und Zweifel

Viele zweifeln, ob es zum Verzicht kommen wird. Europäer und Amerikaner werden nicht zusehen, wie China und andere Autokratien wirtschaftlich mit Vollgas expandieren. Dennoch haben einige Staaten ein Wirtschaftswachstum geschafft, während die CO2-Emissionen sinken. Auch immer mehr Unternehmen versuchen ihren Weg in Richtung Post-Wachstum zu gehen. In den USA haben die 200 größten Unternehmen versprochen, nicht nur ihren Aktionären, sondern „allen Stakeholdern“ verpflichtet zu sein. Der Schweizer Mittelständler Freitag, der Tragetaschen verkauft, hat sich eine Grenze gesetzt, weil man mit dem bisherigen Verkauf einfach zufrieden ist. Die Gründer möchten zeigen, wie langsamer, ausgeglichener »für alle gesünder« funktionieren kann.

Vorschläge für eine gerechtere Gemeinschaft

Die feministische Philosophin Eva von Redecker und die Ökonomin Minouche Shafik stimmen trotz ideologischer Unterschiede in vielem überein: Gutes Zusammenleben braucht neue Regeln.

Gemeinschaft der Teilenden

Redecker zweifelt dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Form noch zukunftsfähig ist. Der Feudalismus sei überwunden werden, die neuen Besitzverhältnisse haben aber zu einer Erschöpfung der Natur geführt. Sie strebt eine „Gemeinschaft der Teilenden an“ – anstatt Güter zu verwerten, könnten wir sie teilen: Wir könnten pflegen, was uns anvertraut ist, anstatt es zu unterwerfen. Frauen haben in diesem Wandel eine besondere Rolle.  Ob Fridays for Future, Belarus oder Iran – Sie treiben den Wandel voran. Arbeit von Frauen sei an den Bedürfnissen des Menschen orientiert gewesen, nicht an Bedürfnissen des Marktes. Und deswegen sähen Frauen heute möglicherweise deut­licher als Männer, dass es um nichts weniger gehe als ums Überleben – der Menschheit.

Massiv in Bildung, Infrastruktur und Chancengleichheit investieren

Minouche Shafik, die Direktorin der London School of Economics, fordert eine „Vorverteilung“. Der Staat müsse »vorverteilen«: viel massiver in Bildung investieren, in Infrastruktur, in alle möglichen Formen von Chancengleichheit. »Es muss so früh wie möglich in alle investiert werden, besonders aber in die Benachteiligten, und aus diesem Einsatz kann eine produktivere Wirtschaft entstehen.«
Eine Möglichkeit wäre ein Ausbildungsgeld von 50.000 Euro, das Menschen für das ganze Leben für Bildung nutzen können.

Der Kapitalismus muss sich radikal verändern, aber „es klingt inzwischen mehr nach Verheißung als nach einer Drohung.“