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Freitag, 23. Dezember 2022

Zähmt die Märkte!

Viele haben über Großbritanniens Premierministerin geschmunzelt, als die „Märkte“ ihren Steuerplänen einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. In der Tat erschien die Idee Steuern für Spitzenverdiener zu senken und mehr Geld auszugeben aus der Zeit gefallen, dass jedoch die „Märkte“ dafür sorgten, ist beunruhigend. Victor Gojda fordert deshalb in der Süddeutschen Zeitung: "Zähmt die Märkte."

Die Macht der Märkte

Die Macht der Märkte haben schon einige zu spüren bekommen. Als Präsident Clinton 1993 ins Weiße Haus einzog, kletterten die Zinsen für US-Staatsanleihen kräftig, weil internationale Investoren einen Schuldenexzess fürchteten. Am Ende musste Clinton Wahlversprechen brechen und Steuererhöhungen durchdrücken. Die Märkte hatten eine demokratisch gewählte Regierung zum Buckeln gezwungen.
Auch während der Eurokrisen riefen die Nationen zur Räson. Auch wenn Kritik berechtigt ist, darf die Ideologie von Spekulanten nicht wichtiger werden als das demokratische Urteil eines Volkes. Statt Märkte zu dämonisieren, sollte die Politik die Märkte regulieren.

Grundlagen der Macht

Wenn Regierungen Schulden machen, haben Großanleger Angst um ihr Geld. Oft steigt die bei Ausgabeprogrammen die Inflation, was den Wert der Anleihenzinsen auffrisst. Die Profis verkaufen ihre Anleihen und verlangen von den Regierungen höhere Zinsen – so kann eine politische Kehrtwende erzwungen werden.

Kotau vor dem Kapital

Ausgerechnet die Konservative Partei, deren Idol Thatcher einst die Macht der Märkte mitbegründete, musste nun öffentlich Abbitte leisten.
Der neue britische Finanzminister machte die Steuererhöhung rückgängig und versprach die Schulden zu reduzieren. Kurz zuvor waren die Pläne gescheitert. Nach Ankündigung des Minibudgets stiegen die Zinsen für britische Staatsanleihen deutlich an. „Wenn sich Akteure außerhalb des politischen Institutionengerüsts allerdings anmaßen, genauer als Wähler oder Volksvertreter zu wissen, welche Finanzpolitik langfristig tragfähig und fruchtbar ist, dann läuft etwas schief“

Problem Zockerei

Die notwendige Regulierung sieht der Autor bei der Zockerei. Im Falle der Truss-Regierung hatten die Spekulationen von Pensionsfonds fast in den Abgrund gerissen und damit das Eingreifen der Notenbank notwendig gemacht.
Es sind aber nicht nur ruchlose Hedgefonds, die bei den Anleihen mitmischen:  Im Schnitt aller Euro-Länder gehören rund 20 Prozent der Staatsanleihen den Zentralbanken, weitere 20 Prozent den heimischen Bankinstituten, elf Prozent bei Investmentfonds, Versicherungen und Pensionsfonds, vier Prozent bei heimische Privatleute direkt, denen auch ein Großteil des Versicherungs- und Pensionsgeldes zugutekommt. Im Schnitt etwas mehr als 40 Prozent der europäischen Staatsanleihen wiederum liegen bei ausländischen Investoren, der zweifellos umstrittensten Gruppe.

Eine Europa-AG der Banken

An diesem Punkt setzt der Vorschlag Gojdas an. Zwar sind auch ausländische Investoren nicht nur auf Spekulationen aus, es gibt aber Risiken. In Anlehnung an die "Deutschland AG" könnten die europäischen Banken eine Art "Europa AG" formen, die sich im Zweifel an die Seite der Regierungen stellt und manche Spekulationsattacke abfedert. Vielleicht kein seligmachender Vorschlag, immerhin aber nimmt er die genaue Zusammensetzung der Anleiheanleger in den Blick - statt mantrahaft die Fiktion von "den Märkten" zu bedienen.

Freitag, 16. Dezember 2022

Arbeit ist mehr als das Gehalt

Roland Preuß bringt es in seinem Artikel in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt: Arbeit ist mehr als das Gehalt. Kurz nach dem der Sachverständigenrat eine höhere Belastung für Besserverdienende gefordert hat diskutiert Deutschland – richtig: Über die Empfänger von Grundsicherung, Schonvermögen und die Frage, ob Arbeiten gar nichts mehr wert ist.

Fragwürdige Beispielrechnungen

Selbst als das Institut für Weltwirtschaft Kiel die eigene Modellrechnung in Frage gestellt hatte, schimpften CDU-Politiker wie Carsten Linnemann, dass sich Arbeit nicht mehr lohne. Dabei zeigen Studien, dass Menschen, die arbeiten, in der Regel mehr Geld zur Verfügung haben als Menschen, die nur Hartz IV beziehen. Der simple Grund: Wer weniger verdient, hat ein Recht darauf, die Differenz vom Amt zu bekommen.

Angst vor dem schnellen Absturz nehmen

Am Anfang bekam das Projekt Bürgergeld breite Zustimmung. Während der Corona-Pandemie wurde der Zugang erleichtert. Auch die anderen Ideen erschienen plausibel:  es gibt zusätzlich Geld für eine Aus- oder Weiterbildung, der Vermittlungsvorrang, der Menschen bisher oft in Hilfsjobs zwang, fällt weg. Der Zwang eine kleinere Wohnung zu wechseln, der in vielen Großstädten ohnehin zum Scheitern verurteilt ist, sollte wegfalle, kurz: Man wollte gerade Menschen aus der Mittelschicht die Angst vor dem schnellen Absturz nehmen.

Braucht es die harte Hand des Staates?

Innerhalb kürzester Zeit waren alle Hilfsbezieher unter Verdacht, auf einmal war das Bürgergeld ein Verstoß gegen das Leistungsprinzip – man müsse diese Faulenzer mit harter Hand des Staates zu produktiver Tätigkeit bewegen. Auch Umfragen zeigten, dass die Kritiker des Bürgergelds mit ihren Thesen auf Zustimmung stießen, im Vermittlungsausschuss knickte die Bundesregierung in zentralen Punkten ein.

Eine Arbeit kann Sinn stiften

Studien zeigen, dass die große Mehrheit der Arbeitslosen wieder eine Arbeit finden wollen, denn es ist mehr als der Geldeingang auf dem Konto: Eine Stelle kann Sinn stiften, Freundschaften mit Kollegen eröffnen, Kontakte mit Kunden. Die Antwort auf Linnemanns Frage, ob Arbeit nichts mehr wert sei ist nach Ansicht des Autors klar zu beantworten: Offenbar doch, aber sie lässt sich nicht nur in Euro messen - und schon gar nicht in fragwürdige Rechenbeispiele pressen."