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Mittwoch, 23. August 2023

Daddy Deutschland- ein Plädoyer für Eigenverantwortung

Meredith Haaf kritisiert in der Süddeutschen Zeitung den ständigen lauten Ruf nach Vater Staat. Bei allem, was Sorgen bereitet oder Kosten verursacht, rufen viele Menschen nach dem Staat. Aber wehe, man muss selbst ran.

Praktisch alles, was Sorgen bereitet, Mehrkosten verursacht, soll „der Staat“ regeln

Heizungsumbau und steigende Benzinpreise, Gleichberechtigung und Bildungslücken, Umweltschutz und Integration: Praktisch alles, was Sorgen bereitet, Mehrkosten verursacht, den Alltag der Menschen belastet, gilt inzwischen als eine Angelegenheit, die „der Staat“ regeln soll – durch strategische Offensiven (Fachkräfte!), durch bessere Gesetze (Gleichberechtigung!) und vor allem durch Geld, Geld, Geld. „

Die veränderte Rolle des Staats

Die Vorstellung vom Staat als Super-Papi, der das Geld hat und die Regeln macht, den man immer anmeckern kann, der einem aber auch immer aus der Patsche helfen sollte, steht auf keiner theoretisch festen Grundlage. Max Weber bezeichnete den Staat als Antriebsbetrieb, der Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen ermöglicht und stabilisiert. Bei Carl Schmitt steht das Gewaltmonopol im Vordergrund; nach John Stuart Mill müssen staatliche Institutionen die Einhaltung der Verfassung schützen. Der Staat vertritt aber grundsätzlich nicht die Interessen der Bevölkerung. Er hat seine eigenen: Linke wollen einen Staat, der sich kümmert, Rechte einen, der sich durchsetzt. In Deutschland stimmt beides allerdings nicht mehr so ganz.

Der Staat als Super-Papi

In Deutschland verlassen sich immer mehr Bürger auf den Superpapi. Während der Corona-Krise war der Staat in Form von Lockdowns, Kontaktsperren, Konzernrettungen und Kurzarbeitergeld sehr dominant. Mit dem dicken Geldbeutel brachte der Staat die Wirtschaft einigermaßen stabil durch die Pandemie. Aus der Ausnahmesituation ist eine Grundhaltung gewachsen. Die aktuellen Probleme – der Ukraine-Krieg, die Erderwärmung und die Knappheit der Ressourcen– Arbeitskraft, Zeit, sauberes Wasser, intakte Natur – werden für immer mehr Menschen spürbar. Die Lösung soll der Staat bieten.

Die anderen sollen machen

Die Debatte über das Heizungsdebatte verdeutlichte den Ruf nach dem Staat und der Ablehnung der eigenen Verantwortung: Das Land redete sich in eine "Art Heizungsverbotsdelirium" mit dem Ergebnis, dass der Staat jetzt bis zu 70 Prozent der Kosten übernimmt. Dies geht einher mit der Überzeugung, dass Staat und Wirtschaft den Klimawandel verhindern sollen. Deutlich weniger sehen sich dafür selbst in der Verantwortung. 

Sozialstaatsgebot umfasst nicht allen alles zu bezahlen 

Das Sozialstaatsgebot verpflichtet den Staat dazu, für sozialen Ausgleich zu sorgen. Dabei geht es aber vor allem darum, Chancengerechtigkeit zu schaffen, soziale Not zu lindern, oder besser, sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Nicht dazu gehört der Anspruch sämtlicher Bürger, Unternehmen und Institutionen – egal wie einkommens- oder vermögensstark –, ständig mit einem Anreiz, einer Förderung oder einem Puffer ausgestattet zu werden, wenn es mal etwas anstrengender wird.

Der Wunsch nach einem superschlauen Staat

Bei manchen Menschen geht die Erwartung noch weiter: Sie wünschen sich einen Staat, der sich nicht an demokratischer Willensbildung orientiert: Nicht nur ein starker, sondern ein superschlauer und zugleich natürlich absolut integrer Staat schwebt ihnen vor. Diese Forderung kommt von Umweltaktivisten nach dem Motto: „Wenn der Staat Inlandsflüge verbietet, muss sich der 17-jährige Lasse nicht mehr mit seinem Vater darüber streiten, auf welchem Weg der seine Geschäftsreisen antritt.“
Es zeigte sich auch bei der Debatte über die Entscheidung, dass Familien mit mehr als 150.000 Euro zu versteuernden Einkommen kein Elterngeld mehr bekommen. Die Empörung war groß, da nun top verdienende Väter nicht mehr in Elternzeit gehen. Für die Autorin ist Gleichberechtigung aber nicht nur Staatsaufgabe, sondern etwas, was Paare unter sich ausmachen können und sollen. 

Demokratiemüdigkeit und Politikverdrossenheit

Mit dem Ruf nach dem Staat gehen Demokratiemüdigkeit und Politikverdrossenheit einher. Mehr als die Hälfte der Menschen zwischen 16 und 30, so eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, fühlen sich von keiner Partei repräsentiert. Diese Demokratiemüdigkeit ist Ausdruck enttäuschter Erwartungen, aber „ganz ehrlich, wer sich immer auf Papi verlässt, kann nur enttäuscht werden.“

Mehr Gemeinschaft nötig

Die Demokratiemüdigkeit ist aber auch Ausdruck der eigenen Antriebslosigkeit. „Es großes, kollektives „Ja gerne, aber bitte mach du. Ob Verantwortung bei Elternabenden oder Vereinen – es sollen die anderen übernehmen.
Der Staat ist nicht der Daddy der Deutschen und der Einzelne auch nicht. Der Begriff, der hier gebraucht wird, heißt Gemeinschaft. Für eine Gesellschaft ist die Sorge und der Einatz füreinander wichtiger als eine zahlungsfreudige Verwaltung.

Persönlicher Einsatz ist gefordert

Jeder ist gefordert, so die Autorin: Es klingt vielleicht banal, aber auch ein Ehrenamt, ein Betriebsrat, eine Genossenschaft, eine Kunstwerkstatt, ein Gemeinschaftsgarten, das alles sind Möglichkeiten, Veränderung zu schaffen und Demokratie zu erfahren, die vom Staat freundlicherweise schon längst ermöglicht werden. Anders gesagt: Do it!