Viele haben über Großbritanniens Premierministerin geschmunzelt, als die „Märkte“ ihren Steuerplänen einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. In der Tat erschien die Idee Steuern für Spitzenverdiener zu senken und mehr Geld auszugeben aus der Zeit gefallen, dass jedoch die „Märkte“ dafür sorgten, ist beunruhigend. Victor Gojda fordert deshalb in der Süddeutschen Zeitung: "Zähmt die Märkte."
Die Macht der Märkte
Die Macht der Märkte haben schon einige zu spüren bekommen. Als Präsident Clinton 1993 ins Weiße Haus einzog, kletterten die Zinsen für US-Staatsanleihen kräftig, weil internationale Investoren einen Schuldenexzess fürchteten. Am Ende musste Clinton Wahlversprechen brechen und Steuererhöhungen durchdrücken. Die Märkte hatten eine demokratisch gewählte Regierung zum Buckeln gezwungen.
Auch während der Eurokrisen riefen die Nationen zur Räson. Auch wenn Kritik berechtigt ist, darf die Ideologie von Spekulanten nicht wichtiger werden als das demokratische Urteil eines Volkes. Statt Märkte zu dämonisieren, sollte die Politik die Märkte regulieren.
Grundlagen der Macht
Wenn Regierungen Schulden machen, haben Großanleger Angst um ihr Geld. Oft steigt die bei Ausgabeprogrammen die Inflation, was den Wert der Anleihenzinsen auffrisst. Die Profis verkaufen ihre Anleihen und verlangen von den Regierungen höhere Zinsen – so kann eine politische Kehrtwende erzwungen werden.
Kotau vor dem Kapital
Ausgerechnet die Konservative Partei, deren Idol Thatcher einst die Macht der Märkte mitbegründete, musste nun öffentlich Abbitte leisten.
Der neue britische Finanzminister machte die Steuererhöhung rückgängig und versprach die Schulden zu reduzieren. Kurz zuvor waren die Pläne gescheitert. Nach Ankündigung des Minibudgets stiegen die Zinsen für britische Staatsanleihen deutlich an. „Wenn sich Akteure außerhalb des politischen Institutionengerüsts allerdings anmaßen, genauer als Wähler oder Volksvertreter zu wissen, welche Finanzpolitik langfristig tragfähig und fruchtbar ist, dann läuft etwas schief“
Problem Zockerei
Die notwendige Regulierung sieht der Autor bei der Zockerei. Im Falle der Truss-Regierung hatten die Spekulationen von Pensionsfonds fast in den Abgrund gerissen und damit das Eingreifen der Notenbank notwendig gemacht.
Es sind aber nicht nur ruchlose Hedgefonds, die bei den Anleihen mitmischen: Im Schnitt aller Euro-Länder gehören rund 20 Prozent der Staatsanleihen den Zentralbanken, weitere 20 Prozent den heimischen Bankinstituten, elf Prozent bei Investmentfonds, Versicherungen und Pensionsfonds, vier Prozent bei heimische Privatleute direkt, denen auch ein Großteil des Versicherungs- und Pensionsgeldes zugutekommt. Im Schnitt etwas mehr als 40 Prozent der europäischen Staatsanleihen wiederum liegen bei ausländischen Investoren, der zweifellos umstrittensten Gruppe.
Eine Europa-AG der Banken
An diesem Punkt setzt der Vorschlag Gojdas an. Zwar sind auch ausländische Investoren nicht nur auf Spekulationen aus, es gibt aber Risiken. In Anlehnung an die "Deutschland AG" könnten die europäischen Banken eine Art "Europa AG" formen, die sich im Zweifel an die Seite der Regierungen stellt und manche Spekulationsattacke abfedert. Vielleicht kein seligmachender Vorschlag, immerhin aber nimmt er die genaue Zusammensetzung der Anleiheanleger in den Blick - statt mantrahaft die Fiktion von "den Märkten" zu bedienen.