Uwe Jean Heuser sagt in der ZEIT nein auf die Frage, ob es Wohlstand ohne Wachstum geben kann. Notwendig ist aus seiner Sicht aber eine andere Art des Wachstums.
Vor 250 Jahren begann die Zeit des wachsenden Wohlstands
Mit der industriellen Revolution begann vor 250 Jahren in Großbritannien die Zeit die industrielle Revolution – und die Zeit des wachsenden Wohlstands. Mithilfe von Maschinen und einer Arbeitsteilung über Ländergrenzen hinweg entwickelt die Wirtschaft eine neue Dynamik, und der normale Mensch, der von seinem Wesen her nach Austausch und Wohlstand strebt, kann endlich daran teilhaben.
Adam Smith lieferte das gedankliche Fundament der modernen Ökologie. Die Hoffnung war, dass das Wachstum Fabrikanten reicht macht und später dann auch mittlere Schichten und Arbeiter.
Bei allen Problemen und Kriegen blieb es dabei: eine wachsende, besser ausgebildete Bevölkerung und immer neue Technologien ließen die industriellen Volkswirtschaften stärker werden.
Es gibt kein Wachstum ohne Wohlstand
Heute droht uns das Wachstum abhandenzukommen. Deutschland stagniert. Der dringend notwendige Klimawandel ist zwar langfristig der billigste Weg zur Erhaltung der Lebensgrundlagen, wird zunächst aber kosten.
Die Hoffnung auf Wohlstand ohne Wachstum wird sich nicht erfüllen: der Kapitalismus kann nicht stillstehen: Neue Unternehmen erobern Marktanteile, Berufe gewinnen an Wert, andere Verlieren. Veränderungen sind unvermeidbar, solange es Innovationen gibt. Wenn zugleich aber die Wirtschaft insgesamt nicht wächst, heißt das: Was der eine dazugewinnt, müssen andere verlieren. Ohne Wachstum ist die Wirtschaft ein Nullsummenspiel.
Harte Verteilungskämpfe
Es würde harte Verteilungskämpfe und wohl auch steigende Arbeitslosigkeit geben. Weniger Menschen zahlen in die Sozialkassen ein. Ohne Aussicht auf Wachstum würden die Unternehmer das Geld behalten oder an Anteilseigner auszahlen, statt zu investieren. Der Wohlstandsverfall würde sich verstärken, die Spannungen in der Gesellschaft zunehmen.
Mit ausbleibendem Wachstum gerät auch die Demokratie in Gefahr. Der Grund für die Abwahl sehen viele Wissenschaftler in der wirtschaftlichen Stagnation und nicht so sehr in der Migration.
Trotz Innovationen wie Internet oder künstliche Intelligenz wächst die Produktivität weniger stark. Außerdem altern die Bevölkerungen, neue Hürden durch Protektionismus tun ihr übrigens. Der Fortschritt ist kaum merklich, Missmut verbreitet sich. Dies erklärt auch den Aufschwung populistischer Parteien.
Kann eine stagnierende Wirtschaft stabil sein?
Durch steigende Schulden kann eine stagnierende Wirtschaft stabil sein. Der Staat könnte in Bildung und Infrastruktur investieren, Dienstleistungsjobs im öffentlichen Sektor schaffen, die ökologische Wende vorantreiben. Er könne den Menschen also auf seine Art Wohlstand bieten, während die privaten Investitionen zurückgehen. Manche Experten sehen darin sogar eine Dauerlösung: wenn Zentralbanken einen Teil der Staatsschulden aufkaufen, kann eine Nation ihre Schuldenquote drastisch erhöhen, ohne dass die Kredite zum Problem werden.
Japan – Land des Stillstands
Öffentliche Schulden als eine Art Perpetuum mobile des Wohlstands - Japan versucht dies seit Jahren. Japan hat eine stark alternde Bevölkerung und neue technische Entwicklungen lange ignoriert. Die Gesellschaft konnte stabil bleiben, da Veränderungen nur langsam kamen. Auch lässt der Inselstaat kaum Migration zu. Der Preis ist hoch – die Staatsverschuldung ist auf 240 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen. Veränderungen kommen kann voran, Japan steckt in der Vergangenheit fest. Mittlerweile stellen auch die Zinsen ein größer werdendes Problem dar.
Kritik am Expansionsstreben seit den 1960er-Jahren
Kritik am ständigen Wunsch nach Wachstum gibt es seit langem. Im Jahr 1972 erschien der Bericht an den Club of Rome über die Grenzen des Wachstums. Zur Jahrtausendwende prägt Harman Daley den Begriff es unwirtschaftlichen Wachstums, da negative Umweltwirkungen mehr Schaden anrichten. Er forderte eine „stationäre Wirtschaft. Die Menschen sollen ihr Wirtschaften so weit begrenzen, dass der Ressourcenverbrauch wieder tragfähig wird für den Planeten. Auf diesem nachhaltigen Niveau würden dann der Lebensstandard und auch die Zielgröße der Bevölkerung festgelegt.
Hat die Degrowth-Bewegung die Lösung?
Ein Jahrzehnt später bekam die Idee einer Postwachstumsgesellschaft Zulauf. In Zeiten von Abschwüngen schwindet die Begeisterung für diese Ideen.
Wissenschaftler wie Matthias Schmelzer verweisen auf weitere Probleme des Kapitalismus, z.B: die Ungleichheit. Er fordert deshalb eine grundlegende Umwandlung der Produktions- und Lebensweise, in der die Politik den öffentlichen Wohlstand stärken und die Industrie bremsen sollte. Luxuskonsum wie Privatjets sollten verhindert werden. Er kritisiert, dass Industrieländer ihren CO2-Ausstoß nur langsam verringert haben und resümiert: Es gibt keinen stabilen Wohlstand mit Wachstum.
Solch grundlegende Änderungen könnten nur durch eine gehörige Portion Planwirtschaft erreicht werden. Die Umsetzung würde zumindest in Demokratien schwierig und spätestens bei der nächsten Krise wollen die Menschen gewohntes Wachstum.
Gefühlter Verlust im Vergleich zu anderen
Für den Autor ist unsere Wahrnehmung entscheidend und nicht so sehr die Hegemonie der Kapitalisten. Der Psychologe Daniel Kahnemann zeigte, dass Menschen das was sie erhalten mit dem vergleichen, was andere bekommen. Fallen sie zurück, begreifen sie das als Verlust. Dieser Verlust ist schwer zu ertragen. Er ärgert sie mehr, als ein Gewinn sie freut. Darauf folgert der Autor: Jede stagnierende Gesellschaft, in der ein erheblicher Teil der Menschen etwas abgeben muss, schafft Unzufriedenheit. Für ein friedliches Miteinander ist also irgendeine Art von Wachstum nötig.
Wachstum der Ideen
Der Autor fordert deshalb ein Wachstum der Ideen und verweist auf die Arbeiten von Daniel Susskind. Dieser beschreibt, wie sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Bruttoinlandsprodukt ein einheitliches Wohlstandsmaß entwickelt hat. In seinem Buch „Abrechnung“ verweist er auf die positiven Entwicklungen und möchte deshalb das Wachstum nicht aufgeben, sondern retten.
Er fordert ein Wachstum durch Ideen durch Investitionen in Forschung und Entwicklung. Er hält eine neue Wachstumsspirale für möglich, wenn Gesellschaften konsequent auf neue Ideen setzen.
Gleichzeitig müssen die Nebenwirklungen eingedämmt werden. Er verweist auf die chinesische KI-Firma DeepSeek, die mit weniger Rechenleistung auskommt oder gemeinwohlorientierte Lösungen, die einem humanistischen Wertekanon folgen sollen.
Im dritten Schritt fordert Susskind, dass Nationen Werturteile fällen: Nehmen wir an bestimmten Stellen soziale und ökologische Schäden in Kauf – oder opfern wir Wachstum. Dies erfolgt durch Abstimmungen – erst dann entstehe in der Bevölkerung ein Verständnis für die Kosten des traditionellen Wirtschaftens.
Demokratie braucht Wohlstand - und Wohlstand braucht Wachstum.
Der Autor hält diese Stufe für die entscheidende. Gesellschaften müssen lernen, zwischen verschiedenen Formen des Wachstums abzuwägen. Wenn es gut läuft, rücken die Menschen zusammen und entwickeln einen Wohlstandsbegriff jenseits von Konsum und Kapital: Solidarität und Gemeinschaftserlebnisse etwa, Kontrolle über das eigene Leben, eine intakte Natur. Sie könnten entscheiden: Wir wollen Wachstum, aber bitte ein anderes, ein weiter gefasstes als bisher.
Denn, so schließt der Autor: „Demokratie braucht Wohlstand – und Wohlstand braucht Wachstum.
Brauchen wir unendliches Wachstum?
Ein Seminar aus meiner Themenliste befasst sich intensiv mit der Frage nach unendlichem Wachstum. In weiteren Seminaren geht es um die Politik Donald Trumps und die Zukunft des Wirtschaftssystems.