Zum zehnten Jahrestag der Pleite von Lehman Brothers und dem Beginn der
Finanzkrise gab zahlreiche interessante Artikel und Kommentare.
Für die nächste Krise ist nicht vorgesorgt
Dies ist der zentrale Satz des Kommentars „
Die Politik muss bei der Bankenrettung ehrlich sein“ von Claus Hulverscheidt in der Süddeutschen Zeitung
Er kritisiert den Begriff Bankenrettung:
Gerettet wurde jener
Umverteilungsmechanismus aus Einlagenverwaltung und Kreditvergabe, der
den Kern des Bankgeschäfts ausmacht und ohne den keine große
Volkswirtschaft der Welt funktionieren kann. Gerettet wurden jedoch auch
und vor allem die Kunden, deren Sparguthaben sich ganz oder teilweise
in Luft aufgelöst hätten, hätte der Staat ein Institut nach dem anderen
in die Pleite geschickt.
Hulverscheidts Kritik: Die Politik hat nicht genug getan: Zwar sind die
großen Geldhäuser der Welt heute mit viel mehr Kapital ausgestattet als
2008, allerdings um den Preis, dass Teile ihres Geschäfts - und zwar die
gefährlicheren - in die unregulierte Welt der Schattenbanken
abwanderten. Man kann fast darauf wetten, dass die nächste Krise hier
ihren Ursprung haben wird. Auch fehlen bis heute eine
Finanztransaktionssteuer, ein Verbot des Hochfrequenzhandels und eine
effiziente Begrenzung von Managergehältern. Vor allem aber mangelt es
weiter an Offenheit: Warum etwa gibt es immer noch keine einfache
Webseite, auf der die Krisenkosten aufgeschlüsselt und begründet werden?
Jede Familie zahlt 3000 Euro für Finanzkrise
Hulverscheidt beklagt auch, dass Zahlen erst auf eine Anfrage eines
Abgeordneten publik wurden. Und die haben es in sich: Die Finanzkrise
wird die deutschen Steuerzahler wohl mehr als 68 Milliarden Euro kosten –
jede Familie zahlt 3000 Euro für die Finanzkrise.
Cerstin Gammelin kritisiert in ihrem
Artikel darüber
hinaus, dass die Folgen der Krise auch nach zehn Jahren noch nicht
bewältigt sind. Bund, Länder und Kommunen sind weiter damit beschäftigt,
heimische Banken zu stützen.
Die nächste Finanzkrise kann scheinbar aus dem Nichts losbrechen
Düster auch die Analyse von Ulrich Schäfer in der Süddeutschen Zeitung:
Die nächste Finanzkrise kann scheinbar aus dem nichts losbrechen.
Schäfer wendet sich gegen die Kritik an der EZB und deren Chef Mario
Draghi, der von vielen verantwortlich gemacht wird., sondern benennt als
die wirkliche Schuldige: gierigen Spekulanten, trickreichen
Investmentbankern und skrupellosen Händlern. Seiner Meinung nach wird
hier der Gärtner zum Bock gemacht, denn die EZB hat mit ihrer
Geldpolitik ja verhindert, dass die Staatsschuldenkrise in Europa ins
Fiasko führte.
Mittellosen US-Bürgern wurden Ramschkredite aufgedrängt
Er sieht die Ursache vor allem in privaten Banken und Kredithaien, die
mittellosen US-Bürgern ihre Ramschkredite aufdrängten. Investmentbanker
schnürten die Kredite anschließend zu hochriskanten Wertpapieren und
verschoben sie, versehen mit viel zu hohen Noten privater
Ratingagenturen, rund um den Globus - ein Hütchenspiel, das ins
Verderben führte. Auch den Vorwurf an die Aufsichtsbehörden lässt er
nicht gelten, schließlich hat die Finanzlobby seit den späten
1980er-Jahren darauf gedrungen, die Kapitalmärkte zu deregulieren - die
Politik ließ sich von diesem marktradikalen Denken infizieren.
Schattenbanken, Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften als Verursacher
Gefahren sieht er in den bis heute mächtige Schattenbanken, die ähnlich
wie Geldhäuser agieren, aber viel schwächer überwacht werden; dazu
zählen Hedgefonds ebenso wie Private-Equity-Gesellschaften. Sie
verwalten etwa 34 Billionen Dollar - das entspricht der Hälfte dessen,
was die Menschheit alljährlich erwirtschaftet. Zudem gibt es nach wie
vor Abertausende Briefkastenfirmen, mit deren Hilfe die Finanzindustrie
ihre Geschäfte abwickelt, sie sitzen in Steueroasen in der Karibik
ebenso wie in Europa. Diese sogenannten Zweckgesellschaften haben meist
nur einen Zweck: Sie sollen das Kapital strengerer staatlicher Kontrolle
entziehen.
Die globale Ökonomie bleibt labil und krisenanfällig
Solange die Weltgemeinschaft es weiterhin zulässt, dass die
Finanzindustrie ihre Geschäfte in solch trübe Gewässer leitet, besteht
die Gefahr, dass scheinbar aus dem Nichts die nächste Finanzkrise
losbricht. … Die globale Ökonomie ist und bleibt, trotz aller Maßnahmen,
die Politiker ergriffen haben, labil und krisenanfällig.
Die Amateure
Der SPIEGEL-Artikel
Die Amateure
Ist leider für Abonnenten aufrufbar. Die Autoren kritisieren, dass bis
heute nicht vollständig aufgearbeitet ist, welche Fehler die deutsche
Politik gemacht hat– und damit die Saat für die nächste Krise gelegt
hat.
„Geschäfte ohne realwirtschaftlichen Nutzen. Aber mit horrenden
Renditen“ so der damalige Chef der Deutschen Bank Ackermann. Das hielt
die Deutsche Bank aber nicht davon ab, fleißig bei der Wetterei
mitzuspielen. Die Autoren kritisieren, dass die Europäer nur halbherzig
reagiert haben und anders als die USA mit Zwangskapitalisierung
entschieden gehandelt haben.
Die nächste Finanzkrise wäre noch viel schlimmer
Ähnlich argumentiert William White, Chefvolkswirt der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in einem Interview mit dem
SPIEGEL.
Zwar sei Dank der staatlichen Konjunkturprogramme und der Stundung von
Krediten die Rezession nach der Lehman-Pleite schnell überwunden worden.
Aber die damaligen Notmaßnahmen hätten verhindert, dass Firmen
wettbewerbsfähiger - oder vom Markt verschwinden würden. Mehr noch als
früher seien die großen Banken heute viel zu groß, um fallen gelassen
werden zu können wie einst Lehman. "Das Krisenmanagement hatte
unbeabsichtigte Konsequenzen", sagte White. "Die Schulden sind höher als
je zuvor, vor allem in den Schwellenländern und China."
Geld drucken als bisherige Rettungsstrategie nicht mehr möglich
Die bisherige Antwort auf die Krisen war Geld drucken: Nach jeder Krise
sind die Zinsen niedriger und die Schulden höher. Seine Forderung:
Entscheidend sei, so White weiter, dass die Zentralbanken endlich den
Krisenmodus verließen und eine antizyklische Geldpolitik betrieben -
also angesichts der weltweit gut laufenden Konjunktur die Zinsen
erhöhten
Dann bis zum nächsten Mal
Auch Uwe Jean Heuser sieht in der
ZEIT die
Gefahr für den nächsten Crash. Er argumentiert, dass Finanzkrisen ein
„exzessives Kreditwachstum“ vorausgeht – zu viel Geld wird verliehen.
Das ist der Fall – sowohl Unternehmen, Staatshaushalte, der Finanzsektor
und Privathaushalte haben in den letzten Jahren gigantische
Schuldenberge aufgebaut. Die gigantischen Geldmengen haben einen Boom
bei Aktionskursen und Immobilienpreisen ausgelöst, aber so der Autor
„Irgendwo wartet der nächste Crash“.
Sehr lesenswert auch das Interview mit
Gerhard Schick.
Der grüne Bundestagsabgeordnete verlässt den Bundestag, um sich auf
seine Arbeit bei der Bürgerbewegung Finanzwende zu konzentrieren.
Die Bewegung setzt sich u.a. für eine Schuldenbremse für Banken und eine unabhängige Finanzberatung ein.
Lehmans Lehren
Rudolf Hickel ist ein streitbarer Ökonom, der oft gegen den Mainstream argumentiert hat.
In einem Kommentar für die
Süddeutsche Zeitung
würdigt er einige Maßnahmen von vor 10 Jahren – unter anderem die
denkwürdige Versicherung von Angela Merkel und dem damaligen
Finanzminister Steinbrück, dass die Einlagen der Sparer sicher sind.
Andere Maßnahmen kritisiert er aber als nicht stimmig und schiebt die Schuld der einflussreichen Lobbyarbeit zu.
Es
ist das weltweit überschüssige Geldkapital, das immer wieder zu
Spekulationsblasen führt. Die Treiber sind die Vermögenden und
Einkommensstarken, die ihre illusorischen Renditeerwartungen auf völlig
überschätzte Finanzmärkte konzentrieren.
Seine Forderung:
Dabei würde es helfen, dem Übersparen
entgegenzuwirken, indem Vermögen und Einkommen gerechter verteilt
werden. Erwirtschaftetes Einkommen muss in die Realwirtschaft investiert
werden. Dazu gehören auch Ausgaben für die öffentliche Infrastruktur,
die einer nachhaltigen Wirtschaft nützen.